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„Wo Heilberuf draufsteht ...“
DAZ-Interview mit NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens
DAZ: Frau Steffens, die nordrhein-westfälischen Apotheker sprechen ausgesprochen positiv über ihre Gesundheitsministerin. Das ist schon generell außergewöhnlich – insbesondere aber weil Sie eine Grüne sind. Können Sie sich vorstellen, woher das kommt?
Steffens: Ja, das kann ich. Wir in NRW haben einen ganz engen Austausch und ein gemeinsames Ziel: Da, wo Heilberuf draufsteht, muss auch Heilberuf drin sein. Ich sehe die Apothekerinnen und Apotheker nicht als Geschäftsleute, die ausschließlich ihren Umsatz im Blick haben, sondern als wichtige Akteure in unserem heutigen und künftigen Versorgungssystem. Sie müssen ihre Beratungs- und Begleitungsfunktion und ihre heilberufliche Verantwortung im noch stärkeren Maße übernehmen. Angesichts der demografischen Entwicklung werden wir im Gesundheitswesen jede und jeden brauchen – auch die Kompetenzen der Apothekerinnen und Apotheker, die meines Erachtens oft noch nicht so genutzt und eingebracht werden, wie es eigentlich sinnvoll wäre.
DAZ: Die Apotheker diskutieren im Moment intensiv, wie sich ihr Beruf weiterentwickeln soll. Haben Sie Vorstellungen oder Ideen, wie die zukünftige Aufgabe der Apotheker aussehen könnte?
Steffens: Ein Beispiel ist die Arzneimitteltherapiesicherheit. In NRW haben wir in der Landesgesundheitskonferenz eine Entschließung zu diesem Komplex verabschiedet – und zwar mit allen Akteuren gemeinsam. Im Moment bekommen zu viele Menschen viel zu viele Medikamente – Wechsel- und Nebenwirkungen sind da oft kaum mehr zu überblicken. Das geht so nicht weiter. Lange wurde hier um Kompetenzen gerangelt – wer darf die Menschen hier beraten? Da sind wir in NRW jetzt weiter. Allen ist klar, dass es unterschiedliche Kompetenzen gibt. So kennen sich Apothekerinnen und Apotheker nicht nur mit Arzneimitteln aus – sie haben am ehesten auch den Überblick über alle Arzneimittel, die eine Patientin oder ein Patient bekommt, verschreibungspflichtige wie rezeptfreie. Wenn ich eine umfassende Arzneimitteltherapiesicherheitsberatung haben will, muss ich also die Apothekerinnen und Apotheker intensiv mit einbinden. Es reicht nicht aus, wenn die Ärztin oder der Arzt nur auf das guckt, was verschrieben wurde. Hier brauchen wir die Apotheke in der Zukunft mehr als es in der Vergangenheit der Fall war. Die Kammern entwickeln bereits Programme zur Arzneimitteltherapiesicherheit und schauen, wie sich diese alltagstauglich umsetzen lassen. Klar ist: Damit die Konzepte am Ende von allen angenommen werden, ist auch eine Vernetzung mit den Ärzten nötig. Ein zweites Beispiel ist die Arzneimittelversorgung von älteren Patientinnen und Patienten, die in Pflegeeinrichtungen, in Haus- oder Wohngemeinschaften oder auch selbstbestimmt im Quartier leben. Neben Arzneimitteltherapiesicherheitsaspekten ist hier auch eine Setting-orientierte Betrachtung nötig. Werden Medikamente zur richtigen Zeit genommen? Gibt es vielleicht Wechselwirkungen mit Nahrungsmitteln? Ich kann hier aus eigener Erfahrung sprechen: Meine Mutter hatte Parkinson und an bestimmten Tagen wirkten ihre Medikamente einfach nicht. Nach langen Recherchen und Gesprächen mit einem Apotheker kam ich darauf, dass sie an diesen Tagen besonders viel Ei gegessen hat. Dies hat die Wirkung der Parkinson-Medikamente beeinflusst. Auch in solchen Fällen können Apotheken Wichtiges leisten.
DAZ: Sie sprachen die Modellprojekte zur Arzneimitteltherapiesicherheit in NRW an. Wie schaffen Sie es, dass hier die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern funktioniert?
Steffens: Es steht und fällt mit den Personen. Allgemein gibt es im Gesundheitsbereich wechselseitig viel Misstrauen. Man unterstellt sich gegenseitig, der jeweils andere wolle einen nur über den Tisch ziehen oder bloß irgendwie Gewinne machen. Dies flackert bei allen Gesprächen im Hintergrund auf. Aber wenn man auf Landesebene die entscheidenden Akteurinnen und Akteure regelmäßig zusammenführt, gemeinsam Prozesse durchläuft, dann entsteht mehr Verständnis füreinander. Die handelnden Personen merken: Wir haben dasselbe Ziel, nämlich die bestmögliche Versorgung für die Menschen heute – und in der Zukunft. Gerade wenn die geburtenstarken Jahrgänge älter werden, braucht man Konzepte, die tragen. Das klappt nicht, wenn alle einzeln etwas für sich entwickeln, sondern nur, wenn man sich abstimmt und miteinander agiert. In NRW gibt es meines Erachtens zwischen den Vertreterinnen und Vertretern der Ärzte- und Apothekerorganisationen eine gute Kommunikation. Das heißt nicht, dass man in der Sache immer eins ist, aber es gibt eine Ebene, auf der man versucht, bestmögliche Lösungen für alle zu finden. Am Ende geht es doch um Versorgungssicherheit. Und für die sind wir gemeinsam verantwortlich, das kann keiner alleine leisten. Nur wenn wir Kompetenzen zusammenführen, voneinander lernen und uns miteinander weiterentwickeln, haben wir eine Chance besser zu werden.
DAZ: Haben Sie auch Vorstellungen, wie die von Ihnen erwünschten neuen Aufgaben zu honorieren sind?
Steffens: Wenn in den Apotheken die Menschen beispielsweise so beraten werden, dass sie statt zehn Medikamenten in Zukunft nur noch drei benötigen, dann beraten sie ja rein formal gegen ihr eigenes wirtschaftliches Interesse. Daher wird man im Bund drüber reden müssen, welche Lösungen es hierfür gibt. Dieses Beraten „weniger ist mehr“ müsste sich in irgendeiner Form bundespolitisch in einer Honorierung abbilden. Sicherlich wird es immer Apothekerinnen und Apotheker geben, die so beraten – auch wenn es nicht wirtschaftlich ist. Aber wir müssen auch an Apotheken denken, die sich am Existenzminimum bewegen und keine Laufkundschaft haben, gerade im ländlichen Raum. Auch sie müssen gestützt werden, schließlich brauchen wir die Apotheken in der Fläche.
DAZ: Planen Sie konkrete Initiativen im Bund, was die Honorierung angeht?
Steffens: Einen Vorstoß plane ich aktuell nicht. Aber ich möchte hier in NRW mit den Apothekerinnen und Apothekern gemeinsam überlegen, welche Wege gangbar sind. Ich mache nicht die Abrechnung der Apotheken – ich weiß, wie die im Groben läuft, kenne aber keine Details. Da müssen also von den Akteuren Vorschläge kommen, die dann im Bund zu besprechen sind. Andere Lösungen sehe ich nicht. Wenn es aber eine gute, plausible Idee gibt, mit der man wirklich die Arzneimitteltherapiesicherheit für die Menschen verbessern kann, dann ist eine Initiative zwingend.
DAZ: Kommen wir nochmals auf die Versorgungssicherheit zu sprechen. Auch in NRW sinkt die Zahl der Apotheken. Sehen Sie das mit Sorge oder sagen Sie, von Versorgungslücken sind wir noch weit entfernt?
Steffens: 2013 schlossen rund 40 Betriebe in Westfalen-Lippe, im Rheinland gibt es eine vergleichbare Tendenz. Trotzdem haben wir in Westfalen-Lippe mit etwa 2090 Apotheken und in Nordrhein mit rund 2400 noch eine relativ hohe Apothekendichte. Aber man muss sehr differenziert auf die einzelnen Bereiche gucken. Mit Sorge schaue ich auf die Regionen mit einer dünnen Versorgungsdecke. Schließen im ländlichen Raum Arztpraxen, brechen auch die Apotheken weg. Dabei wäre gerade dort die Apotheke vor Ort ganz wichtig. Hier müsste man gegebenenfalls über Delegation und Kooperation reden: Kann die Apotheke, wenn es vor Ort keine Arztpraxis mehr gibt, auch bestimmte Funktionen gemeinsam mit anderen Heil- und Hilfsberufen mit übernehmen? Dabei ist wichtig: Es geht nicht nur darum, ob das alles heute und morgen funktioniert – wir müssen viel weiter schauen. Strukturveränderungen sind sehr träge, sehr mühsam und sie halten lange. Wenn ich also Strukturen für 2050 verändert haben will, muss ich jetzt die Diskussionen führen.
DAZ: Wenn eine Grüne über das Aufbrechen von Strukturen im Gesundheitswesen spricht, dann gehen bei Apothekern alle Alarmglocken an …
Steffens: Also in NRW bestimmt nicht. Für mich heißt Strukturen aufbrechen, dass ich gucken möchte, welche Kompetenzen und welche Möglichkeiten zusätzlich da sind – und was Apothekerinnen und Apotheker in eine Versorgungsstruktur mit einbringen können. Sie müssen ihre künftige Rolle dabei selber finden und selber mit entwickeln. Ein Beispiel ist etwa die Quartiersentwicklung: Wir müssen mit gesellschaftlicher Verantwortung unsere Quartiere sozialräumlich anders entwickeln. Menschen sollen auch in ihrer nachberuflichen Phase Sinn und Aufgaben haben. Sie sollten etwa die Strukturen, in denen sie dann gepflegt werden, mittragen und mitentwickeln. Auch hier muss die Apotheke vor Ort eine Rolle spielen. Nur: Das funktioniert nicht mit der Apotheke, die auf Sonderangebote und Werbeflyer setzt. Das geht nur mit Apotheken, die wirklich Bezug zum Menschen haben und den Heilberuf leben. Wenn ich in meinem Briefkasten Apotheken-Flyer finde, auf denen drei Pakete Schmerzmittel zum Preis von zwei angeboten werden, kriege ich die Krise. Menschen zum Mehrkauf von Arzneimitteln zu bewegen, ist für mich nicht kompatibel mit einem Heilberuf. Ich unterstütze die Apotheker gerne – aber ich erwarte von ihnen auch eine gewisse Verantwortung.
DAZ: Und welche Rolle spielt dabei die Struktur der Apotheken selbst? Ist es egal, ob sie inhabergeführt ist oder von einer Kapitalgesellschaft betrieben wird – grüne Bundespolitiker zeigten sich in der Vergangenheit immer wieder offen gegenüber Apothekenketten.
Steffens: Nein, im Gegensatz zu den Positionen, die meine Bundespartei in manchen Phasen hat, ist meine hier ganz klar und zumindest in NRW auch bekannt: Die inhabergeführte Apotheke steht oben an. Und ich will auch keine Internetapotheken. Wenn man da mehr regulieren könnte, wäre ich sehr froh. Durch unser Landeszentrum Gesundheit erfahren wir immer wieder, wie viele gefälschte Medikamente im Internet zu bekommen sind. Zudem: Eine Beratung findet hier nicht statt. Das ist auch gerade bei OTCs ein Problem. Heute googeln viele Menschen im Internet, was ihnen helfen könnte – dann setzen sie unreflektiert und ohne ärztlichen Rat Arzneimittel ein. Hier ist der Apotheker der Einzige, der nachfragen und sagen kann, dass ein Arztbesuch besser wäre. Per Versandhandel kann ich Pantoffeln und Kleidung verschicken – aber keine Medikamente. Die Menschen müssen sich klarmachen: Wer heute nach dem Motto „Geiz ist geil“ versucht, Medikamente günstiger im Internet zu kriegen, hat morgen keine Apotheke mehr um die Ecke, wenn er sie dringend braucht.
DAZ: Glauben Sie, dass Sie sich mit der Haltung in Ihrer Partei durchsetzen können?
Steffens: Ich bin Landesministerin. In NRW ist das eine klare Position. Und was die Bundestagsfraktion betrifft, so wird dort ja auch diskutiert. Wenn die Apothekerinnen und Apotheker von sich aus sagen, wo sie stehen – als Heilberufler! – und ihre Rolle, etwa als wichtiger Berater und Versorger im Quartier, weiterentwickeln, dann glaube ich, gibt es den Dissens nicht mehr. Aber wenn ich natürlich Apotheken habe, die nur auf Sonderangebote setzen, kann es anders ausgehen.
DAZ: Sie sprachen eben bereits das Thema OTC an. Im vergangenen Oktober sagten Sie auf dem OTC-Gipfel in Düsseldorf, sie wünschten sich hier Änderungen. Was stellen Sie sich vor?
Steffens: Ich finde es sehr problematisch, dass wir hier keine Preisbindung haben – gerade bei kritischen OTCs und solchen mit Sucht- oder Abhängigkeitspotenzialen. Bei vielen Menschen steckt im Kopf, dass „gefährliche“ Arzneimittel vom Arzt verschrieben werden müssen – was frei zu kaufen ist, sei hingegen unbedenklich. Entsprechend wird mittlerweile auch schon mit rezeptfreien Arzneimitteln umgegangen. Doch schon wenn man an bekannte Schmerzmittel und ihre möglichen Folgeschäden denkt, wissen wir, es ist ein Irrglaube, was ich ohne Rezept kaufen kann sei ungefährlich. Da hilft es auch nicht, Packungsgrößen zu verkleinern oder den Wirkstoffgehalt zu verringern. Wer will, geht dann eben in fünf Apotheken im städtischen Raum und bekommt so die gewünschte Dosis. Möglicherweise findet er aber auch noch diese eine Apotheke, die ihm zehn Pakete zusammen verkauft. Ich denke, wir müssen darüber nachdenken, wie man hier eine Beratungspflicht implementieren kann. Ich hätte auch gerne ein Werbeverbot für bestimmte Gruppen von OTCs. Ich fände es schon gut, wenn man Apotheken – vielleicht in einem Bündnis – dazu bringen könnte, auf eine solche Werbung zu verzichten.
DAZ: Sie haben auch gefordert, dass nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel wieder von den Kassen erstattet werden sollen. Planen Sie da einen Vorstoß?
Steffens: Ich sehe da gerade keine Chance auf einen Erfolg. Aber wir müssen das weiter diskutieren und mit Inhalten überzeugen. Mit der Regelung sollten vor allem bei den Kassen Kosten gespart werden. Heute muss man realistisch sagen, sie hat weder den Patientinnen und Patienten geholfen noch insgesamt die Kosten gesenkt. Wenn Patientinnen und Patienten mit geringem Einkommen nun öfter mal Arzneimittel verschrieben bekommen, die für die Therapie nicht optimal sind, aber immer noch besser, als wenn die Patientin oder der Patient aus Kostengründen auf das sinnvollere selbst zu zahlende OTC verzichten würde, ist was falsch am System.
DAZ: Es gibt in NRW in der letzten Zeit Trubel um die PTA-Schulen. Gibt es da was Neues?
Steffens: Anders als in anderen Bundesländern findet die PTA-Ausbildung in NRW nicht an öffentlichen, sondern an privaten Schulen statt. Deshalb liegt die Aufsicht beim Gesundheits- und nicht beim Schulministerium. Die Apotheker in NRW haben sich damals dafür entschieden, weil sie an den öffentlichen Berufskollegs weniger Einfluss auf die schulische Ausbildung gehabt hätten. Während die Finanzierung einer Ausbildung an den öffentlichen Berufskollegs eine Pflichtleistung des Landes ist, handelt es sich bei der Förderung der PTA-Schulausbildung formal um eine freiwillige Leistung. Vor dem Hintergrund knapper Kassen und immer wieder beklagter Haushalte sind wir gezwungen, alle Leistungen auf den Prüfstand zu stellen. Deshalb mussten wir die Mitfinanzierung der PTA-Ausbildung – rein rechnerisch reden wir über einen Betrag von monatlich etwa 24 Euro brutto pro Apotheke – beenden. Mein Ziel ist nun, zu schauen, ob man die Ausbildung komplett reformieren sollte. Wir haben eine Arbeitsgruppe und versuchen gemeinsam Möglichkeiten auszuloten, die man auch auf die Bundesebene tragen kann. Möglich wäre etwa eine duale oder an duale Standards angelehnte Ausbildung, vielleicht auch eine erweiterte Ausbildung mit anderen Kompetenzen, die später eine Delegation von Aufgaben ermöglichen könnte. Für denkbar halte ich auch einen Bachelor- oder Master-Studiengang PTA. In diesem Fall müssten wir auch nicht über Schulgeld diskutieren, da wir eine Studiengeldfreiheit haben.
DAZ: Frau Steffens, wir danken Ihnen für das Gespräch!
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